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Der Schwarm - Schatzing Frank - Страница 65


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»Sind es denn wirklich Gasaustritte?«, fragte Lund. »Ich meine, steigt Methan aus dem Erdinnern nach oben, oder stammt das Gas vielleicht von …«

»Schmelzenden Hydraten?« Bohrmann zogerte. »Das ist die entscheidende Frage. Wenn sich Hydrat zu zersetzen beginnt, musste sich an den lokalen Parametern etwas geandert haben.«

»Und Sie glauben, das ist hier der Fall?«, fragte Lund.

»Es gibt eigentlich nur zwei Parameter. Druck und Temperatur. Wir haben aber weder eine Erwarmung des Wassers gemessen, noch ist der Meeresspiegel gesunken.«

»Das sage ich doch«, rief Stone. »Wir suchen Antworten auf Fragen, die kein Mensch gestellt hat. Ich meine, wir haben eine Probenentnahme.« Er sah sich nach Zustimmung heischend um. »Eine einzige verdammte Probe!«

Bohrmann nickte. »Sie haben vollkommen Recht, Dr. Stone. Alles ist spekulativ. Aber um die Wahrheit herauszufinden, sind wir hier.«

»Stone geht mir auf die Nerven«, hatte Johanson zu Lund gesagt, als sie kurz darauf in die Messe gegangen waren. »Was hat er eigentlich? Er scheint diese Tests regelrecht verhindern zu wollen? Dabei leitet er das Projekt.«

»Wir konnen ihn ja uber Bord werfen.«

»Es reicht schon, was wir sonst ins Meer kippen.«

Sie holten sich frischen Kaffee und verzogen sich damit auf Deck. »Und was haltst du von diesem Resultat?«, fragte Lund zwischen zwei Schlucken.

»Es ist kein Resultat. Es ist ein Zwischenwert.«

»Na schon. Was haltst du von dem Zwischenwert?«

»Ich wei? es nicht.«

»Komm schon.«

»Bohrmann ist der Experte.«

»Glaubst du wirklich, es hat was mit diesen Wurmern zu tun?«

Johanson dachte an sein zuruckliegendes Gesprach mit Olsen.

»Ich glaube erst mal gar nichts«, sagte er vorsichtig. »Es ware absolut verfruht, etwas zu glauben.« Er blies in seinen Kaffee und legte den Kopf in den Nacken. Uber ihnen spannte sich ein truber Himmel. »Ich wei? nur eines: dass ich jetzt lieber zu Hause sa?e als auf diesem Schiff.«

Das war am Vortag gewesen.

Wahrend die letzten Wasserproben analysiert wurden, verzog sich Johanson in den Funkraum hinter der Brucke. Uber Satellit konnte er vom Schiff aus mit aller Welt Kontakt aufnehmen. In den vergangenen Tagen hatte er begonnen, eine Datenbank aufzubauen, E-Mails an Institute und Wissenschaftler zu verschicken und das Ganze als personliches Interesse zu tarnen. Die ersten Antworten fielen enttauschend aus. Niemand hatte den neuen Wurm beobachtet. Vor wenigen Stunden hatte er au?erdem Kontakt zu Expeditionen aufgenommen, die gerade auf See waren. Er zog einen Stuhl heran, platzierte den Laptop zwischen den Funkgeraten und offnete den E-Mail-Speicher. Auch diesmal war die Ausbeute mager. Die einzig interessante Nachricht stammte von Olsen, der ihm mitteilte, dass die Qualleninvasionen vor Sudamerika und Australien offenbar au?er Kontrolle geraten waren.

Wei? nicht, ob ihr da drau?en Nachrichten hort, schrieb Olsen. Aber gestern Nacht brachten sie einen Sonderbericht. Die Quallen ziehen in riesigen Schwarmen die Kusten entlang. Es sieht so aus, sagt der Nachrichtenonkel, als steuerten sie gezielt von Menschen besiedelte Gegenden an. Naturlich volliger Blodsinn. Ach ja, und es hat wieder gekracht. Zwei Containerfrachter vor Japan. Au?erdem verschwinden weiterhin Boote, aber diesmal wurden Notrufe aufgezeichnet. Die komischen Geschichten ans British Columbia geistern nach wie vor durch die Presse, ohne dass man was Konkretes erfahrt. Wurde man glauben, was da kolportiert wird, jagen in Kanada die Wale zur Abwechslung Menschen. Aber gottlob muss man ja nicht alles glauben. So weit das kleine Gute-Laune-Programm aus Trondheim. Ersauf mir nicht.

»Danke«, knurrte Johanson ubellaunig.

Sie horten tatsachlich zu selten Nachrichten. Forschungsschiffe waren wie Locher in Zeit und Raum. Offiziell horte man keine Nachrichten, weil man zu viel zu tun hatte. Tatsachlich wollte man einfach in Ruhe gelassen werden von Stadten, Politikern und Kriegen, sobald die wellen unter den Kiel schlugen. Bis man nach ein bis zwei Monaten auf See plotzlich zu verblassen schien und einen die Sehnsucht nach der eigenen Bedeutung uberkam, nach dem festen Platz im Gefuge, das dem Menschen eben nur die Zivilisation liefern kann, nach Hierarchien, Hightech, Kinos und McDonald’s und nach einem Boden, der nicht standig auf und nieder schwankte.

Johanson stellte fest, dass er sich nicht konzentrieren konnte. Vor seinem geistigen Auge sah er, was sie nun seit zwei Tagen pausenlos auf den Monitoren sahen.

Wurmer.

Mittlerweile hatten sie Gewissheit: Der Kontinentalhang wimmelte von ihnen. Die Flachen und Adern aus gefrorenem Methan waren verschwunden unter Millionen zuckender rosa Leiber, die versuchten, sich ins Eis zu bohren, eine einzige, wahnsinnig gewordene Masse. Das war kein lokales Phanomen mehr. Sie wurden Zeuge einer flachendeckenden Invasion, und sie vollzog sich entlang der gesamten norwegischen Kuste.

Als hatte sie jemand da hingezaubert …

Irgendjemand musste auf ahnliche Phanomene gesto?en sein.

Warum wurde er das Gefuhl nicht los, dass es zwischen den Wurmern und den Quallen einen Zusammenhang gab? Und andererseits, welche halbwegs ernsthafte Erklarung sollte dafur herhalten?

Es war Blodsinn!

Blodsinn, ja.

Aber dem Blodsinn haftet der Charakter von etwas Beginnendem an, dachte er plotzlich. Etwas, auf das wir bis jetzt nur einen kurzen, fluchtigen Blick erhascht haben.

Das hier war erst der Anfang.

Noch gro?erer Blodsinn, schalt er sich.

Er loggte sich ein bei CNN, um Olsens Meldungen zu uberprufen, als Lund hereinkam und einen Becher schwarzen Tee vor ihn hinstellte. Johanson sah zu ihr auf. Sie grinste verschworerisch. Seit dem Ausflug zum See hatte sich ihrem Verhaltnis eine konspirative Note hinzugesellt, ein kumpeliges Dichthalten.

Der Duft frisch gebruhten Earl Greys breitete sich aus.

»So was haben wir an Bord?«, fragte Johanson verwundert.

»So was haben wir nicht an Bord«, erwiderte sie. »So was bringt man mit, wenn man wei?, dass jemand drauf steht.«

Johanson hob die Brauen. »Wie fursorglich. Welchen Gefallen willst du diesmal rausschinden?«

»Wie war’s mit danke?«

»Danke.«

Sie warf einen Blick auf den Laptop. »Kommst du voran?«

»Fehlanzeige. Was macht die Analyse der letzten Wasserprobe?«

»Keine Ahnung. Ich war mit wichtigeren Dingen beschaftigt.«

»Oh. Was gibt es Wichtigeres?«

»Hvistendahls Assistent das Handchen zu halten.«

»Wieso denn das?«

»Er futterte die Fische.« Sie zuckte die Achseln.

»Frischfleisch halt.«

Johanson musste grinsen. Lund beflei?igte sich eines Vokabulars, das eigentlich den Seeleuten vorbehalten war. Auf Forschungsschiffen stie?en zwei Welten aufeinander, Crew und Wissenschaftler. Mit den besten Absichten strichen sie umeinander, versuchten sich auf Ausdrucksweise, Lebensart und Macken des jeweils anderen einzustellen, beschnupperten sich eine Weile und fanden irgendwann in vertrauliche Gewasser. Bis dahin herrschte respektvolle Distanz, die man mit Witzeleien kompensierte. Frischfleisch war die Bezeichnung der Matrosen fur Neulinge an Bord, denen das seemannische Leben ebenso wenig vertraut war wie das Verhalten ihres Magens nach Verlassen festen Untergrundes.

»Du hast das erste Mal auch gekotzt«, bemerkte Johanson.

»Du nicht?«

»Nein.«

»Pah.«

»Wirklich nicht!« Johanson hob die Hand zum Schwur.

»Du kannst es nachprufen. Ich bin seefest.«

»Okay, du bist seefest.« Lund kramte einen Zettel hervor und legte ihn vor Johanson auf den Tisch. Eine Internetadresse war darauf gekritzelt. »Dann kannst du dich ja umgehend ins gronlandische Meer begeben. Ein Bekannter von Bohrmann ist dort unterwegs. Er hei?t Bauer.«

»Lukas Bauer?«

»Du kennst ihn?«

Johanson nickte langsam. »Ich erinnere mich an einen Kongress vor einigen Jahren in Oslo. Er hielt einen Vortrag. Ich glaube, er beschaftigt sich mit Meeresstromungen.«

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