Justiz - Дюрренматт Фридрих - Страница 6
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Gespräch mit dem Zuchthausdirektor: Zu meiner Überraschung wurde ich zum Direktor Zeller gebeten. Er empfing mich in seinem Büro, in einem Raum mit einem respektablen Konferenztisch, Telefon, Akten. An den Wänden Tabellen, schwarze Bretter voller Zettel, viel Kalligraphie, unter den Sträflingen, wie leider überall in diesem Lande, gibt es viele Lehrer. Das Fenster unvergittert, mit Ausblick auf die Gefängnismauer und etwas Rasen, auch dies schulhofmäßig, wäre hier nicht absolute Stille. Kein Autohupen, kein Geräusch, wie in einem Altersheim.
Der Zuchthausdirektor begrüßte mich reserviert, kühl, und wir setzten uns.
«Herr Spät«, begann er die Unterredung,»Sie sind vom Sträfling Isaak Kohler aufgefordert worden, ihn zu besuchen. Ich habe die Zusammenkunft erlaubt, und Sie werden Kohler in Gegenwart eines Wärters sprechen.»
Ich wußte von Stüssi-Leupin, daß er seine Klienten ohne Zeugen sprechen durfte.
«Stüssi-Leupin besitzt unser Vertrauen«, antwortete der Zuchthausdirektor auf meine Frage.»Ich will damit nicht sagen, daß wir Ihnen mißtrauen, aber wir kennen Sie noch nicht.»
«Verstehe.»
«Und noch etwas, Herr Spät«, fuhr der Zuchthausdirektor fort, nun schon freundlicher:»Bevor Sie mit Kohler reden, möchte ich Ihnen doch mitteilen, was ich von diesem Sträfling halte. Vielleicht ist das für Sie wichtig. Verstehen Sie mich recht. Ich habe mich nicht darum zu kümmern, weshalb die Menschen, die ich zu beaufsichtigen habe, hier sind. Das geht mich nichts an. Meine Sache ist der Strafvollzug. Ausschließlich. Aus diesem Grunde will ich mich auch nicht zu Kohlers Verbrechen äußern, Ihnen aber gestehen, daß der Mann mich persönlich etwas verwirrt.»
«Inwiefern?«fragte ich.
Der Zuchthausdirektor zögerte ein wenig mit der Antwort:»Der Mann scheint vollkommen glücklich zu sein«, sagte er dann.
«Das ist doch erfreulich«, meinte ich.
«Na ja — ich weiß nicht«, entgegnete der Zuchthausdirektor.
«Ihr Betrieb ist schließlich ein Musterbetrieb«, sagte ich.
«Ich tue mein Bestes«, seufzte der Zuchthausdirektor,»aber trotzdem. Ein Multimillionär, der glücklich in seiner Zelle sitzt, das klingt unanständig.»
Auf der Zuchthausmauer spazierte eine große fette Amsel herum, wohl in der Hoffnung, bleiben zu dürfen, verlockt vom Piepsen, Singen und Pfeifen der in ihren Käfigen so wohlbetreuten Vögel, das bisweilen übermächtig aus den vergitterten Fenstern zu vernehmen war. Es war ein heißer Tag, der Sommer schien wiederaufzuflammen, über den fernen Wäldern ballten sich die Wolken zusammen, und vom Dorfe dröhnten die Schläge der Kirchturmuhr. Neun Uhr.
Ich steckte mir eine Parisienne an. Er schob mir einen Aschenbecher hin.
«Herr Spät«, fuhr der Zuchthausdirektor fort,»stellen Sie sich einen Sträfling vor, der Ihnen gleich ins Gesicht zu erklären wagt, er finde das Zuchthaus wunderbar, die Wärter tüchtig, er sei vollkommen glücklich und brauche nichts. Unfaßlich. Ich war einfach angewidert.»
«Warum denn?«fragte ich.»Sind Ihre Wärter denn nicht tüchtig?»
«Natürlich sind sie tüchtig«, antwortete der
Zuchthausdirektor,»aber das habe ich, nicht ein Gefangener festzustellen. Man jubelt schließlich auch nicht in der Hölle.»
«Gewiß«, gab ich zu.
«Ich bin wütend geworden, habe striktes Einhalten der Reglemente verordnet, obwohl ich von seiten des Justizdepartements angewiesen worden bin, möglichst Milde walten zu lassen, und kein Gefängnisreglement der Welt einem Gefangenen verbietet, vollkommen glücklich zu sein. Aber ich bin einfach emotional durcheinander gewesen. Herr Spät, Sie müssen das verstehen. Kohler hat die übliche verschärfte Einzelhaft bekommen, Dunkelarrest — na ja, eigentlich verboten —, doch schon nach wenigen Tagen fällt mir auf, daß die Wärter Kohler mögen, ja geradezu verehren.»
«Und nun?«fragte ich.
«Nun habe ich mich mit ihm abgefunden«, brummte der Gefängnisdirektor.
«Sie verehren ihn ebenfalls?»
Der Zuchthausdirektor schaute mich nachdenklich an.»Sehn Sie, Herr Spät«, sagte er,»wenn ich so in seiner Zelle sitze und ihm zuhöre — weiß der Teufel, da geht eine Kraft von ihm aus, eine Zuversicht, man könnte da beinahe wieder an die Menschheit glauben und an alles Schöne und Gute, auch unser Pfarrer ist hingerissen, es ist wie eine Seuche. Aber Gott sei Dank bin ich ja dann wieder ein gesunder Realist und glaube nicht an vollkommen glückliche Menschen. Am wenigsten an solche in Zuchthäusern, sosehr wir auch das Leben bei uns zu erleichtern suchen. Wir sind schließlich keine Unmenschen. Aber Verbrecher sind Verbrecher. Darum sage ich mir dann wieder: Der Mann kann gefährlich sein, muß gefährlich sein. Sie sind neu in Ihrem Beruf, passen Sie deshalb auf, daß er Ihnen keine Falle stellt, am besten lassen Sie vielleicht überhaupt die Finger davon. Natürlich ist das nur ein Rat, Sie sind schließlich Rechtsanwalt und entscheiden selber. Wenn man nur nicht so hin und her gerissen wäre. Der Mann ist entweder ein Heiliger oder ein Teufel, und ich halte es für meine Pflicht, Sie zu warnen, was ich nun getan habe.»
«Vielen Dank, Herr Direktor«, sagte ich.»Ich lasse Ihnen nun Kohler holen«, atmete der Zuchthausdirektor auf.
Der Auftrag: Die Unterredung mit dem vollkommen glücklichen Menschen fand im Nebenzimmer statt. Möblierung und Aussicht dieselbe. Ich erhob mich, als ein Wärter Dr.h.c. Isaak Kohler hereinführte. Der Alte war in brauner Zuchthauskleidung, sein Wärter in schwarzer Uniform, sah aus wie ein Briefträger.
«Nehmen Sie doch Platz, Spät«, sagte Dr.h.c. Isaak Kohler, tat überhaupt wie ein Gastgeber, generös und jovial. Ich dankte beeindruckt, nahm Platz. Dann bot ich dem Sträfling eine Parisienne an, Kohler lehnte ab.
«Ich rauche nicht mehr«, erklärte er,»ich nutze die Gelegenheit, das Angenehme mit dem Nützlichen zu verbinden.»
«Sie empfinden das Zuchthaus besonders angenehm, Herr Kohler?«fragte ich.
Er schaute mich verwundert an:»Sie nicht?»
«Ich befinde mich ja nicht drin«, antwortete ich.
Er strahlte.»Es ist herrlich. Diese Ruhe! Diese Stille! Ich habe allerdings ein ziemlich aufreibendes Leben geführt, vorher. Mit meinem Trust.»
«Kann ich mir denken«, stimmte ich ihm bei.
«Und kein Telefon«, sagte er,»gesund bin ich auch geworden. Sehn Sie. «Er machte einige Kniebeugen.»Das konnte ich vor einem Monat noch nicht«, erklärte er stolz.»Wir haben hier auch einen Turnverein.»
«Ich weiß«, sagte ich.
Draußen spazierte immer noch die fette Amsel hoffnungsvoll hin und her, vielleicht war es aber auch eine andere. Der vollkommen glückliche Mensch betrachtete mich wohlgefällig.»Wir haben uns schon einmal kennengelernt«, sagte er.
«Ich weiß.»
«Im Cafe >Du Théâtre<, das ja in meinem Leben eine gewisse Rolle spielte. Sie schauten mir damals beim Billard zu.»
«Ich verstehe nichts von Billard.»
«Immer noch nichts?»
«Immer noch nichts, Herr Kohler.»
Der Sträfling lachte und wandte sich an den Wärter:»Möser, hätten Sie die Güte, unserem jungen Freund Feuer zu geben?»
Der Wärter sprang auf, kam mit einem Feuerzeug.
«Aber natürlich, Herr Kantonsrat, aber selbstverständlich. «Auch er strahlte.
Dann setzte sich der Wärter wieder. Ich begann zu rauchen. Die Herzlichkeit der beiden erschöpfte mich. Ich hätte gerne das unvergitterte große Fenster geöffnet, doch das ging wohl nicht in einem Zuchthaus.
«Sehn Sie, Spät«, sagte er,»ich bin ein simpler Sträfling, nichts weiter, und Möser ist einer meiner Wärter. Ein großartiger Mensch. Er weiht mich in die Geheimnisse der Bienenzucht ein. Ich fühle mich schon als Imker, und mit dem Wärter Brunner — auch dessen Bekanntschaft sollten Sie machen — lerne ich Esperanto. Wir unterhalten uns nur in dieser Sprache. Sie können es selbst konstatieren: Heiterkeit, Gemütlichkeit, Herzlichkeit überall, tiefster Friede. Ich bin ein vollkommen glücklicher Mensch geworden. Vorher? Mein Gott!… Ich studiere den Plato im Urtext, flechte Körbe — brauchen Sie einen Korb, Spät?»
«Leider nein.»
«Die Körbe des Herrn Kantonsrat sind Meisterkörbe«, bestätigte der Wärter stolz in seiner Ecke:»Ich habe ihm das Korbflechten persönlich beigebracht, und nun übertrifft er schon jeden anderen unserer Korber. Wirklich, übertreibe nicht.»
Ich bedauerte:»Tut mir leid, benötige keinen.»
«Schade, ich hätte Ihnen wirklich gern einen geschenkt«, sagte Kohler.
«Lieb von Ihnen.»
«Zur Erinnerung.»
«Nichts zu machen.»
«Schade. Jammerschade.»
Ich wurde ungeduldig.»Darf ich nun wissen, warum Sie mich herbestellt haben?«fragte ich.
«Natürlich«, antwortete er.»Selbstverständlich. Ich vergesse ganz, daß Sie von draußen kommen, es eilig haben, herumwirbeln. Zur Sache also: Sie haben mir damals im >Du Théâtre< erzählt, vielleicht erinnern Sie sich, Sie hätten vor, sich selbständig zu machen.»
«Ich bin jetzt selbständig.»
«Man hat mich informiert. Wie geht der Laden?»
«Herr Kohler«, sagte ich,»das dürfte hier kaum von Interesse sein.»
«Also schlecht«, nickte er.»Dachte es mir. Und Ihr Büro befindet sich in einer Mansarde in der Spiegelgasse, nicht wahr? Auch schlecht. Ganz schlecht.»
Ich hatte genug und erhob mich.»Entweder teilen Sie mir jetzt mit, was Sie von mir wollen, Herr Kohler, oder ich gehe«, sagte ich grob.
Der vollkommen glückliche Mensch erhob sich ebenfalls, wurde auf einmal mächtig, unwiderstehlich, drückte mich in meinen Sessel zurück, mit beiden Händen, die sich wie Gewichte auf meine Schultern legten.
«Bleiben Sie«, befahl er drohend, beinahe bösartig.
Es blieb mir nichts anderes übrig als zu gehorchen.»Bitte«, sagte ich, hielt mich still. Auch der Wärter.
Kohler setzte sich wieder:»Sie brauchen Geld«, stellte er fest.
«Das wird hier nicht diskutiert«, antwortete ich.
«Ich bin bereit, Ihnen einen Auftrag zu geben.»
«Ich höre.»
«Ich wünsche, daß Sie meinen Fall aufs neue untersuchen.»
Ich stutzte:»Das heißt, Sie wünschen einen Revisionsprozeß, Herr Kohler?»
Er schüttelte den Kopf.»Wenn ich einen Revisionsprozeß anstreben würde, müßte meine Strafe nicht in Ordnung sein, aber sie ist in Ordnung. Mein Leben ist abgeschlossen, zu den Akten gelegt. Ich weiß, daß mich der Zuchthausdirektor bisweilen für einen Heuchler hält und Sie, Spät, wohl auch. Verständlich. Aber ich bin weder ein Heiliger noch ein Teufel, ich bin einfach ein Mensch, der draufgekommen ist, daß man zum Leben nichts weiter als eine Zelle braucht, kaum mehr als zum Sterben, da genügt ein Bett, noch später ein Sarg, denn die menschliche Bestimmung liegt im Denken, nicht im Handeln. Handeln kann jeder Ochse.»
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