Grieche sucht Griechin - Дюрренматт Фридрих - Страница 18
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«Ich werde ihn erdrosseln«, dachte Archilochos trotzig,»so ist es am einfachsten.»
«Setzen wir uns, Liebster, Bester«, sagte der höfliche, alte Präsident, Arnolphs Arm leise berührend,»von hier aus können wir in den Hof spähen, wenn es uns Freude macht, auf die Herren von der Wache hinunter mit den weißen Federbüschen, die überrascht wären, jemand bei mir eingedrungen zu wissen. Die Idee mit der Leiter ist vortrefflich und freut mich um so mehr, weil auch ich manchmal mit einer Leiter über die Mauer steige, zu nächtlicher Stunde, gerade wie Sie eben, doch dies ganz unter uns. Ein alter Staatspräsident muß eben manchmal auch zu solchen Mitteln greifen, gibt es doch im Leben Angelegenheiten, die zwar einen Ehrenmann, aber nicht die Herren von der Presse angehen. Ludewig, schenk uns den Champagner ein.»
«Danke schön«, sagte Archilochos,»aber ermorden werde ich ihn trotzdem«, dachte er.
«Und dazu Hähnchen«, freute sich der alte Herr,»das haben wir immer in der Küche, Ludewig und ich, Champagner und Hähnchen nachts um drei. Das ist etwas Vernünftiges. Ich nehme an, Ihre Mauerbesteigung hat Sie ordentlich hungrig gemacht.»
«Etwas«, sagte Archilochos ehrlicherweise und dachte an seine Fassadenkletterei. Der Kammerdiener servierte aufs würdigste, wenn auch mit bedenklichem Zittern.
«Kümmern Sie sich nicht um Ludewigs Schlottern«, sagte der Staatspräsident.»Er hat schon sechs meiner Vorgänger bedient.»
Arnolph reinigte seine Brille mit der Serviette. Die Bombe wäre bequemer gewesen, dachte er. Er wußte immer noch nicht, wie er vorgehen sollte. Er konnte nicht gut» entschuldigen Sie «sagen und mit Würgen beginnen; auch mußte noch der Kammerdiener umgebracht werden, damit er nicht die Wache holte, was das Unternehmen komplizierter gemacht hätte. So aß und trank er, zuerst Zeit zu gewinnen, sich den neuen Umständen anzupassen, dann, weil es ihm gefiel. Der würdige alte Herr tat ihm wohl. Es war ihm, als säße er bei einem Vater, dem er alles gestehen könne.
Das Hähnchen munde vortrefflich, lobte der Staatspräsident.
«Wirklich«, gab Archilochos zu.
«Auch der Champagner ist in Ordnung.»
«Ich habe nie gedacht, daß es sowas Köstliches gibt«, bekannte Archilochos.
«Plaudern wir dabei, kneifen wir nicht voreinander, kommen wir auf Ihre schöne Chloé zu reden, um die es ja geht, die Sie verwirrt«, forderte der Alte auf.
«Ich bin eben heute in der Heloisen-Kapelle sehr erschrocken«, sagte Archilochos,»als ich mit einem Male die Wahrheit erkannte.»
«Ich hatte auch etwas den Eindruck«, bestätigte der Präsident.
«Während ich Sie so dasitzen sah«, bekannte Arnolph,»in der Kirche, mit allen Ihren Orden, fuhr es mir mit einem Male durch den Sinn, daß Sie nur zur Hochzeit gekommen seien, weil Sie mit Chloé —»
«Sie verehrten mich sehr?«fragte der alte Herr.
«Sie waren mein Vorbild. Ich hielt Sie für einen strengen Alkoholgegner«, bemerkte Archilochos schüchtern.
«Das hat mir die Presse eingebrockt«, brummte der Staatspräsident,»weil die Regierung einen Kampf gegen den Alkoholismus führt, photographiert man mich immer mit einem Glas Milch.»
«Ebenso hieß es, Sie seien auch in moralischer Hinsicht äußerst streng.»
«Nur die Meinung des Frauenvereins. Sie sind Temperenzler?»
«Ebenfalls Vegetarier.»
«Nun trinken Sie Champagner, nun essen Sie Hähnchen?»
«Ich habe keine Ideale mehr.»
«Das tut mir leid.»
«Es sind alle Heuchler.»
«Auch Chloé?»
«Sie wissen genau, was Chloé ist.»
«Die Wahrheit«, bemerkte der Staatspräsident, legte einen abgenagten Hähnchenknochen zur Seite und rückte den Kerzenständer zwischen ihnen etwas weg,»die Wahrheit ist immer etwas Genierliches, wenn sie an den Tag kommt, nicht nur bei Frauenzimmern, bei allen Menschen und besonders beim Staate. Ich möchte manchmal auch aus meinem Palais stürzen — das ich schon rein architektonisch scheußlich finde — wie Sie aus der Heloisen-Kapelle, aber eben, ich habe nicht so recht die Courage und klettere heimlich über die Mauer. Ich will niemanden von den Betroffenen verteidigen«, fuhr er fort,»am wenigsten mich, es ist dies überhaupt ein Gebiet, von dem sich schicklich nur schwer reden läßt, und wenn schon, so nur nachts unter vier Augen, weil bei jedem Reden Ansichten und Moralitäten hineingeraten, die nicht dazugehören, und weil die Tugenden, Leidenschaften und Fehler der Menschen so nahe beieinanderliegen, daß leicht Verachtung und Haß aufkommen, wo Verehrung und Liebe allein das Gegebene wären. Ich will Ihnen daher nur eines sagen, Bester, Guter: Wenn es einen Menschen gibt, den ich beneide, sind Sie es, und wenn es einen gibt, für den ich fürchte, sind Sie es auch. — Ich hatte Chloé mit vielen zu teilen«, sagte er dann nach einer Weile, zurückgesunken in den Biedermeiersessel und Archilochos beinahe zärtlich unterrichtend,»sie war eine Königin in einem dunklen elementaren Reich. Sie war eine Kurtisane. Die berühmteste der Stadt. Ich will dies nicht beschönigen, und ich bin zu alt, es zu tun. Ich bin dankbar, daß sie mir ihre Liebe schenkte, und denke an keinen Menschen mit größerer Dankbarkeit zurück. Nun hat sie sich abgewandt von uns allen und ist zu Ihnen gekommen, so war denn ihr Freudentag für, uns ein Abschieds-und Dankfest.»
Der greise Staatspräsident schwieg, strich mit der Rechten wie verträumt über seinen gepflegten Spitzbart, der Kammerdiener schenkte Champagner ein, und draußen hörte man die zackigen Befehle, den Stechschritt der Leibwache. Auch Archilochos hatte sich in seinen Sessel zurückgelehnt und dachte mit Befremden an die nun so nutzlose Bombe in seiner Manteltasche, als erzwischenden Vorhängen des Fensters hindurch spähte und Fahrcks' Wagen vor dem Wirtschaftsministerium warten sah.
«Was nun Sie betrifft, Bester, Liebster«, fuhr der Staatspräsident nach einer Weile leise fort, sich eine kleine helle Zigarre anzündend, die ihm der Kammerdiener gereicht hatte (auch Archilochos rauchte),»so begreife ich Ihre stürmischen Gefühle. Welcher Mann wäre in Ihrer Situation nicht beleidigt. Doch sind es gerade diese so natürlichen Gefühle, die es zu bekämpfen gilt, da doch sie den größten Unfug anrichten. Helfen kann ich nicht, wer vermöchte dies auch, ich kann nur hoffen, daß Sie über eine Tatsache hinwegkommen, die niemand zu leugnen vermag, die nur dann hinfällig und unbedeutend wird, wenn Sie die Kraft haben, an die Liebe zu glauben, die Ihnen Chloé entgegenbringt. Das Wunder, das da zwischen euch beiden geschah, ist nur durch die Liebe möglich und glaubwürdig und wird außerhalb dieser Liebe zu einer Farce. So wandeln Sie denn auf einer schmalen Brücke, über gefährliche Abgründe, auf einem Schwert wie die Mohammedaner, wenn sie in ihr Paradies einziehen, habe wenigstens einmal so was gelesen; aber nehmen Sie doch noch etwas vom Hähnchen«, forderte er seinen verhinderten Mörder auf,»es ist wirklich vortrefflich und immer etwas Tröstliches. «Archilochos saß da, von Kerzen umschimmert, versunken in die wohlige Wärme des Raumes. An den Wänden hingen in schweren goldenen Rahmen ernste, längst verblichene Staatsmänner und Helden und betrachteten ihn nachdenklich, fremd, erhaben, eingegangen in die Ewigkeit. Eine ihm sonst unbekannte Ruhe war in seine Seele eingezogen, eine unbegreifliche Heiterkeit, nicht nur durch die Worte des Staatspräsidenten bewirkt, was waren auch Worte, doch durch dessen gütige, väterliche, höfliche Art.
«Sie sind begnadet worden«, bemerkte der alte Herr noch,»der Grund dieser Gnade kann zweierlei sein, und es hängt von Ihnen ab, was er sei: die Liebe, wenn Sie an diese Liebe glauben, oder das Böse, wenn Sie an diese Liebe nicht glauben. Die Liebe ist ein Wunder, das immer wieder möglich, das Böse eine Tatsache, die immer vorhanden ist. Die Gerechtigkeit verdammt das Böse, die Hoffnung will bessern, und die Liebe übersieht. Nur sie ist imstande, die Gnade anzunehmen, wie sie ist. Es gibt nichts Schwereres, ich weiß es. Die Welt ist schrecklich und sinnlos. Die Hoffnung, ein Sinn sei hinter all dem Unsinn, hinter all diesen Schrecken, vermögen nur jene zu bewahren, die dennoch lieben.»
Er schwieg, und zum ersten Male konnte Archilochos wieder an Chloé denken, ohne Grauen, ohne Entsetzen.
Dann, als die Kerzen niedergebrannt waren, half der Staatspräsident Archilochos in den Mantel mit der nun nutzlosen Bombe und begleitete ihn, da der Lift gerade nicht funktionierte, zum Hauptportal hinunter, weil er, wie er sagte, Ludewig nicht embêtieren wolle, der steif und korrekt neben dem Sessel seines Herrn stehend eingeschlafen war, ein Kunststück, worüber der alte Herr äußerte, es sei unter allen Umständen zu respektieren. So gingen sie denn beide durch das leere Staatspalais nach unten, die breite, geschwungene Treppe hinab, Archilochos getröstet, mit der Welt zufrieden, sich nach Chloé sehnend, der Staatspräsident mehr wie ein Museumsdirektor, bald in diesem, bald in jenem Saal die Lichter anzündend und die nötigen Erklärungen abgebend. Hier repräsentiere er, sagte er etwa und deutete in einen monumentalen Prunksaal, oder hier nehme er die Demission der Ministerpräsidenten entgegen, zweimal im Monat, und hier in diesem intimen Salon mit dem beinahe ganz echten Raffael habe er mit der englischen Königin und ihrem Prinzgemahl den Tee genommen und sei dabei fast eingeschlafen, als der Prinzgemahl auf die Marine zu sprechen gekommen sei, nichts langweile ihn eben so wie Marinegeschichten, und nur die Geschicklichkeit des Chefs des Protokolls habe ein Unglück verhütet; der habe ihn im entscheidenden Augenblick geweckt und ihm eine marinegemäße Antwort zugeflüstert. Sonst seien sie ganz nett gewesen, die Engländer. Dann nahmen sie Abschied, zwei Freunde, die sich ausgesprochen, die Frieden miteinander geschlossen hatten. Vom Hauptportal winkte der Alte noch einmal lächelnd, heiter. Archilochos blickte zurück. Das Palais ragte in die kalte Nacht, nun düster, wie eine riesenhafte, verschnörkelte Kommode, der Viertelsmond war nicht mehr zu sehen. Er schritt zwischen den salutierenden Leibwachen hindurch und gelangte auf den Quai de l'Etat, schwenkte jedoch in die Ruelle Etter zwischen der Nuntiatur und der Schweizerischen Gesandtschaft ein, da er vom Wirtschaftsministerium her Fahrcks' Wagen heranbrausen sah, gelangte in der Rue Stäbi vor die Pfyffersche Bar und nahm dort ein Taxi; mit Fahrcks wünschte er nicht mehr zusammenzutreffen. Dann rannte er durch den Park, nur von dem Gedanken beherrscht, Chloé in die Arme zu schließen. Das Rokokoschlößchen war hell erleuchtet. Wilder Gesang dröhnte ihm entgegen. Die Haustüre war offen. Zigarren- und Pfeifenrauch qualmte in dicken gelben Schwaden, Bruder Bibi mit seinen Kinderchen hatte nun vom ganzen Haus Besitz ergriffen. Überall saßen und lagen Mitglieder der Bande betrunken und lallend herum, auf den Sofas, unter den Tischen, eingewickelt in die heruntergerissenen Vorhänge, die Vaganten, Zuhälter und Strichjungen der Stadt schienen versammelt, in den Betten kreischten Weiber, entblößte Busen schimmerten, Galgenvögel saßen in der Küche und fraßen, schmatzten, soffen die Vorratskammer und den Keller leer, Matthäus und Sebastian spielten mit zwei Holzbeinen im Eßzimmer Hockey, im Korridor übte der Onkel Kapitän Messerwerfen mit Mammachen, während Jean-Christoph und Jean-Daniel mit dessen Glasauge Marmeln spielten und Theophil und Gottlieb, Dirnen auf dem Schoß, die Treppengeländer hinunterrutschten; Arnolph rannte, von böser Ahnung gepeinigt, ins obere Stockwerk, am Galeriebesitzer Nadelör vorbei, der immer noch fiebernd in seinem Bett lag, durch das Boudoir, wo aus dem Badezimmer Männergesang und Wasserplantschen zu vernehmen war und die schrille Stimme Magda-Marias, und als er ins Schlafzimmer stürzte, lag im Bett Bruder Bibi mit einer Mätresse (unbekleidet); Chloé war nirgends, wo er auch gesucht, geforscht, gestöbert hatte.
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