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Der Schwarm - Schatzing Frank - Страница 69


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»Schei?e«, stohnte Stone. »Das ist ein Blowout!«

Im Kontrollraum der Sonne starrten alle fasziniert auf den Monitor. Die Holle schien tief unten ausgebrochen zu sein.

Bohrmann sagte ins Mikrophon: »Wir mussen hier weg. Kommando an Brucke. Volle Fahrt.«

Lund drehte sich um und rannte aus dem Raum. Johanson zogerte, dann lief er ihr hinterher. Andere folgten. Hektik brach aus. Plotzlich schien jeder an Bord auf den Beinen zu sein. Er schlitterte auf das Arbeitsdeck, wo Matrosen und Techniker unter Lunds Kommando Kuhltanks heranwuchteten. Das Windenkabel uber dem Galgen erzitterte, als die Sonne plotzlich Fahrt aufnahm.

Lund sah ihn und kam zu ihm gelaufen.

»Was war das?«, rief Johanson.

»Wir sind auf eine Blase gesto?en. Komm!«

Sie zog ihn zur Reling. Hvistendahl, Stone und Bohrmann gesellten sich zu ihnen. Zwei der Statoil-Techniker waren an den abschussigen Rand des Hecks getreten, direkt unter den Galgen, und sahen neugierig hinaus. Bohrmann warf einen Blick auf das straff gespannte Kabel.

»Was macht der denn da?«, zischte er. »Warum stoppt der Idiot die Winde nicht?«

Er lie? die Reling los und lief zuruck ins Innere.

Im selben Moment begann das Meer wild zu schaumen. Gro?e wei?e Brocken brachen durch die Wasseroberflache. Die Sonne fuhr jetzt mit voller Geschwindigkeit. Klirrend spannte sich die Zugleine des Greifers. Jemand lief uber das Deck auf den Galgen zu und fuchtelte mit den Armen.

»Weg da«, schrie er die Statoil-Leute unter dem Galgen an. »Haut ab!«

Johanson erkannte ihn. Es war der Schaferhund, wie ihn die Crew nannte, der Erste Offizier. Hvistendahl drehte sich um. Auch er machte den Mannern Zeichen. Dann geschah alles gleichzeitig. Mit einem Mal waren sie inmitten eines brausenden und zischenden Geysirs. Johanson sah die Umrisse des Greifers dicht unter der Wasseroberflache auftauchen. Unertraglicher Schwefelgestank breitete sich aus. Das Heck der Sonne sackte abwarts, dann schoss das stahlerne Maul schrag aus dem brodelnden Inferno heraus und bewegte sich wie eine uberdimensionale Schaukel auf die Bordwand zu. Der hintere der beiden Statoil-Leute sah den Greifer kommen und warf sich zu Boden. Der andere riss entsetzt die Augen auf, machte einen unentschlossenen Schritt zuruck — und taumelte. Mit einem Satz war der Schaferhund heran und versuchte ihn zu Boden zu ziehen, aber er war nicht schnell genug. Das tonnenschwere Maul krachte gegen den Mann und schleuderte ihn in hohem Bogen durch die Luft. Er flog mehrere Meter weit, schlitterte uber die Planken und blieb auf dem Rucken liegen.

»Oh nein«, keuchte Lund. »Verdammter Mist!«

Sie und Johanson liefen gleichzeitig zu dem reglosen Korper. Der Erste Offizier und Mitglieder der Crew waren neben dem Mann auf die Knie gegangen. Der Schaferhund blickte kurz auf.

»Keiner fasst ihn an.«

»Ich will …«, begann Lund.

»Arzt holen, los.«

Lund kaute unruhig an ihren Nageln. Johanson wusste, wie sehr sie es hasste, zur Untatigkeit verdammt zu sein. Sie trat zu dem schlammtriefenden Greifer, der langsam auspendelte.

»Offnen!«, rief sie. »Alles, was noch ubrig ist, in die Tanks.«

Johanson sah aufs Wasser. Immer noch stiegen brodelnd und stinkend Blasen aus dem Meer. Allmahlich wurden es weniger. Die Sonne gewann rasch Abstand. Die letzten Brocken des hochgeschwemmten Methaneises trieben auf den Wellen und zerfielen.

Quietschend offnete der Greifer sein Maul und entlie? zentnerweise Eis und Schlamm. Bohrmanns Laborleute und die Matrosen hasteten umher und versuchten, so viel Hydrat wie moglich im flussigen Stickstoff zu versenken. Es dampfte und zischte. Johanson kam sich schrecklich nutzlos vor. Er drehte sich weg, ging hinuber zu Bohrmann und half ihm, die Brocken einzusammeln. Das Deck war ubersat mit kleinen, borstigen Korpern. Einige zuckten und wanden sich und stulpten ihre Russel mit den Kiefern hervor. Die meisten schienen den raschen Aufstieg nicht uberlebt zu haben. Der plotzliche Wechsel von Temperatur und Umgebungsdruck hatte sie getotet.

Johanson hob einen der Brocken auf und betrachtete ihn genauer. Das Eis war von Kanalen durchzogen. Leblose Wurmer hingen darin. Er wendete den Brocken hin und her, bis ihn das Knistern und Knacken der zerfallenden Masse daran erinnerte, sie schnellstmoglich unter Verschluss zu bringen. Andere Brocken waren noch starker durchlochert, doch richtig begonnen hatte die Zersetzung offenbar erst unterhalb der Wurmkanale. Kraterartige Zerstorungen klafften im Eis, teilweise bedeckt von schleimigen Faden.

Was war damit geschehen?

Johanson verga? die Kuhlbehalter. Er zerrieb den Schleim zwischen den Fingern. Das Zeug sah aus wie Reste von Bakterienkolonien. Man fand Bakterienmatten auf der Oberflache von Hydraten, aber was taten sie so tief im Innern der Eisklumpen?

Sekunden spater hatte sich der Brocken zersetzt. Er sah sich um. Das Heck war zu einer schlammigen Pfutze geworden. Der Mann, den der Greifer erwischt hatte, war verschwunden. Auch Lund, Hvistendahl und Stone hatten das Deck verlassen. Johanson sah Bohrmann ein Stuck weiter an der Reling lehnen und ging zu ihm hinuber.

»Was ist da eben passiert?«

Bohrmann fuhr sich uber die Augen. »Wir hatten einen Blowout. Das ist passiert. Der Greifer ist uber zwanzig Meter tief eingebrochen. Von unten kam freies Gas hoch. Haben Sie die riesige Blase auf dem Schirm gesehen?«

»Ja. Wie dick ist das Eis an dieser Stelle?«

»War, muss man wohl sagen. Siebzig bis achtzig Meter.

Mindestens.«

»Dann muss da unten alles in Trummern liegen.«

»Offensichtlich. Wir sollten schleunigst herausfinden, ob das ein Einzelfall war.«

»Sie wollen weitere Proben entnehmen?«

»Naturlich«, knurrte Bohrmann. »Der Unglucksfall vorhin hatte nicht passieren durfen. Der Mann an der Winde hat den Greifer weiterhin eingeholt, bei voller Fahrt. Er hatte die Winde stoppen mussen.« Er sah Johanson an. »Ist Ihnen was aufgefallen, als das Gas hochkam?«

»Ich hatte den Eindruck, dass wir wegsackten.«

»Schien mir auch so. Das Gas hat die Oberflachen spannung des Wassers herabgesetzt.«

»Sie meinen, wir hatten sinken konnen?«

»Schwer zu sagen. Schon mal was vom Hexenloch gehort?«

»Vor zehn Jahren fuhr mal einer hinaus und kehrte nicht zuruck. Das letzte was man uber Funk von ihm horte, war, dass er sich einen Kaffee kochen wollte. Kurzlich hat ein Forschungsschiff das Wrack gefunden. 50 Seemeilen vor der Kuste in einer ungewohnlich tiefen Senke im Nordseeboden. Die Seeleute nennen die Gegend Hexenloch. Das Wrack weist keinerlei Schaden auf, und es liegt aufrecht auf dem Grund. Als sei es wie ein Stein gesunken — wie etwas, das nicht schwimmen kann.«

»Klingt nach Bermuda-Dreieck.«

»Sie haben den Nagel auf den Kopf getroffen. Genau das ist die Hypothese. Die einzige, die einer naheren Prufung standhalt. Zwischen den Bermudas, Florida und Puerto Rico gibt es immer wieder heftige Blowouts. Wenn das Gas in die Atmosphare aufsteigt, kann es sogar Flugzeugturbinen entzunden. Ein Methanblowout, um ein Vielfaches gro?er, als wir ihn eben hatten, und das Wasser wird so dunn, dass Sie einfach wegsacken.« Bohrmann deutete auf die Kuhlbehalter. »Wir schicken das Zeug schnellstmoglich nach Kiel. Wir werden es analysieren, und danach werden wir definitiv wissen, was da unten los ist. Und wir werden es herausfinden, das verspreche ich Ihnen. Wir haben einen Mann verloren wegen dieser ganzen Schei?e.«

»Ist er …?« Johanson sah zu den Aufbauten des Hauptdecks hinuber.

»Er war sofort tot.«

Johanson schwieg.

»Wir werden die nachsten Proben mit dem Autoklav entnehmen, statt den Greifer einzusetzen. Das ist in jedem Fall sicherer. Wir mussen Klarheit erlangen. Ich habe keine Lust mitanzusehen, wie hier bedenkenlos Fabriken auf Grund gesetzt werden.« Bohrmann schnaubte und stie? sich von der Reling ab. »Aber das sind wir ja schon gewohnt, nicht wahr? Wir versuchen, die Welt zu erklaren, und keiner hort richtig zu. Was passiert denn? Die Konzerne sind die neuen Auftraggeber der Forschung. Wir beide schippern hier herum, weil Statoil einen Wurm gefunden hat. Toll. Die Industrie bezahlt die Forscher, nachdem der Staat es nicht mehr kann. Von Grundlagenforschung keine Spur. Dieser Wurm wird nicht als Forschungsobjekt gesehen, sondern als Problem, das es aus der Welt zu schaffen gilt. Angewandte Forschung ist gefragt, und bitte schon so, dass man hinterher einen Freibrief in der Tasche hat. Aber vielleicht ist der Wurm ja gar nicht das Problem. Denkt ein Mensch daruber nach? Vielleicht ist es etwas vollig anderes, und indem wir das Problem beseitigen, schaffen wir ein viel gro?eres. — wissen Sie was? Manchmal konnte ich kotzen.«

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