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Der Schwarm - Schatzing Frank - Страница 53


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»Racheengel.«

»Quatsch. Nein, manchmal gingen mir die Kerle einfach auf die Nerven. Zu langsam, zu lieb, zu begriffsstutzig. Manchmal bin ich auch einfach weggelaufen, um mich in Sicherheit zu bringen, bevor … Du wei?t ja, ich bin schnell.«

»Lass uns kein schones Haus bauen, denn es konnte ein Sturm kommen und es zerstoren.«

Lund verzog die Mundwinkel. »Ist mir zu elegisch.«

»Mag sein. Aber es passt.«

»Ja, passen tut’s schon.« Sie runzelte die Stirn. »Es gibt auch noch die andere Moglichkeit. Du baust das Haus, und bevor es jemand zerstoren kann, zerstorst du es selber.«

»Kare, das Haus.«

»Ja. Kare, das Haus.«

Irgendwo begann eine Grille zu zirpen. Ein ganzes Stuck entfernt antwortete eine zweite.

»Beinahe ware es dir gelungen«, sagte Johanson. »Wenn wir heute miteinander geschlafen hatten, hattest du Grund genug gehabt, Kare den Laufpass zu geben.«

Sie erwiderte nichts.

»Glaubst du, du hattest dich selber derma?en ubertolpeln konnen?«

»Ich hatte mir halt gesagt, dass es weit mehr meinem Lebensstil entspricht, mit dir ein Verhaltnis zu haben, als eine Beziehung einzugehen, die mich auf Dauer lahm legt.

Mit dir ins Bett zu gehen hatte das irgendwie … bestatigt.«

»Du hattest dir die Bestatigung sozusagen ervogelt.«

»Nein.« Sie funkelte ihn zornig an. »Ich war scharf auf dich, ob du’s glaubst oder nicht.«

»Schon gut.«

»Du bist kein Fluchthelfer, wenn du das meinst. Ich habe dich nicht einfach so …«

»Schon gut, schon gut!« Johanson hob die Hande. »Du bist eben verliebt.«

»Ja«, sagte sie murrisch.

»Nicht so widerwillig. Sag’s nochmal.«

»Ja. Jaha!«

»Schon besser.« Er grinste. »Und jetzt, wo wir dich von innen nach au?en gekrempelt und gesehen haben, was du fur ein Angsthase bist, sollten wir vielleicht den Rest der Flasche auf Kare leeren.«

Sie grinste schiefmaulig zuruck. »Ich wei? es nicht.«

»Du bist dir immer noch nicht sicher?«

»Mal mehr, mal weniger. Ich bin … durcheinander.«

Johanson lie? die Flasche abwechselnd von einer Hand in die andere wandern. Dann sagte er:

»Ich habe auch mal ein Haus niedergerissen, Tina. Ist Jahre her. Die Bewohner waren noch drin. Sie haben einigen Schaden genommen, aber spater sind sie druber weggekommen. — Einer von beiden jedenfalls. Ich wei? bis heute nicht, ob es richtig war.«

»Wer war der andere Bewohner?«, fragte Lund.

»Meine Frau.«

Sie zog die Brauen hoch. »Du warst verheiratet?«

»Ja.«

»Davon hast du nie was erzahlt.«

»Ich habe manches nicht erzahlt. Ich finde es ganz erquicklich, Dinge nicht zu erzahlen.«

»Was ist passiert?«

»Was halt passiert.« Er zuckte die Achseln. »Du lasst dich wieder scheiden.«

»Warum?«

»Das ist es ja. Es gab keinen besonderen Grund. Keine buhnenreifen Dramen, keine fliegenden Teller. Nur das Gefuhl, es konnte zu eng werden. Und in Wahrheit die Angst, es konnte … mich abhangig machen. Ich sah eine Familie auf mich zukommen, Kinder und einen sabbernden Koter im Vorgarten, ich sah mich Verantwortung ubernehmen, und die Kinder und der Hund und die Verantwortung machten die Liebe Stuck fur Stuck zunichte … Ich hielt es damals fur sehr vernunftig, mich zu trennen.«

»Und heute?«

»Heute denke ich manchmal, dass es der vielleicht einzige Fehler war, den ich in meinem Leben gemacht habe.« Er sah versonnen aufs Wasser hinaus. Dann straffte er sich und hob die Flasche. »In diesem Sinne: Cheerio!

Was immer du tun willst, tu es.«

»Ich wei? nicht, was ich tun soll«, flusterte sie.

»Lass dich nicht von der Angst einholen. Du hast Recht, du bist schnell. Sei schneller als die Angst.« Er sah sie an. »Ich war es damals nicht Alles, was du ohne Angst entscheidest, entscheidest du richtig.«

Lund lachelte. Dann beugte sie sich vor und griff nach der Flasche.

Erstaunlicherweise, wie Johanson fand, blieben sie dann doch das ganze Wochenende zusammen am See. In der Nacht ihrer verpatzten Romanze hatte er vermutet, sie werde tags drauf zuruck nach Trondheim fahren wollen, aber so war es nicht. Etwas hatte sich geklart. Dem ewigen Flirt war die Grundlage entzogen. Sie unternahmen Spaziergange, schwatzten und lachten, verbannten die Welt samt allen Universitaten, Bohrinseln und Wurmern aus ihren Kopfen, und Johanson kochte die besten Spaghetti Bolognese seines Lebens.

Es war eines der schonsten Wochenenden am See, an die er sich erinnern konnte.

Am Sonntagabend fuhren sie zuruck. Johanson setzte Lund vor ihrer Haustur ab. Sie gaben sich einen Kuss im Schutz der Stadt, fluchtig und freundschaftlich. Fur die Dauer einiger Herzschlage, als Johanson wenig spater sein Haus in der Kirkegata betrat, empfand er zum ersten Mal seit Jahren wieder den Unterschied zwischen allein und einsam. Er lie? das Gefuhl in der Diele zuruck. Bis dorthin durften Selbstzweifel und Schwermut mitkommen. Keinen Schritt weiter.

Er brachte den Koffer ins Schlafzimmer. Auch hier stand ein Fernseher, ebenso wie im Wohnraum. Johanson schaltete ihn ein und zappte so lange durch alle Kanale, bis er die Aufzeichnung eines Konzerts aus der Royal Albert Hall erwischte. Kiri Te Kanawa sang Arien aus La Traviata. Johanson begann auszupacken, summte leise mit und machte sich unentschlossene Gedanken uber die Natur seines obligatorischen Gutenachtdrinks.

Nach einer Weile erklang keine Musik mehr.

Uber einigen Schwierigkeiten beim Falten eines Hemdes registrierte er nicht gleich, dass das Konzert zu Ende gegangen war. Er kampfte mit einem widerspenstigen Armel, wahrend im Hintergrund Nachrichten liefen.

»… aus Chile bekannt geworden. Ob das Verschwinden der norwegischen Familie in Zusammenhang mit ahnlichen Vorfallen steht, die sich offenbar zur gleichen Zeit an den Kusten Perus und Argentiniens ereignet haben, wurde nicht bestatigt. Auch dort waren in den vergangenen Wochen mehrfach Fischerboote verschwunden oder spater treibend gesichtet worden. Von den Besatzungen fehlt bis zur Stunde jede Spur. Die funfkopfige Familie war bei ruhiger See und schonem Wetter an Bord eines Fischtrawlers zum Hochseeangeln hinausgefahren.«

Armel rechts falten, nach innen klappen. Was war das da gerade gewesen im Fernsehen?

»Costa Rica verzeichnet derweil eine Qualleninvasion ungewohnten Ausma?es. Tausende sogenannter Staatsquallen der Gattung Portugiesische Galeere sind unter anderem dicht in Kustennahe aufgetaucht. Wie verlautet, kamen inzwischen vierzehn Menschen durch Begegnungen mit den hochgiftigen Tieren ums Leben, zahlreiche wurden verletzt, darunter auch zwei Englander und ein Deutscher. Eine nicht bekannte Anzahl von Personen wird noch vermisst. Das costaricanische Fremdenverkehrsamt kundigte Krisensitzungen an, wies jedoch Meldungen, wonach die Strande fur Touristen geschlossen werden sollen, zuruck. Im Augenblick bestehe keine unmittelbare Gefahr fur den Badebetrieb.«

Johanson stand reglos da, den Armel in der Hand.

»Diese Arschlocher«, murmelte er. »Vierzehn Tote. Sie hatten langst alles abriegeln mussen.«

»Auch vor der australischen Kuste haben Schwarme von Quallen fur Beunruhigung gesorgt. Insbesondere soll es sich dabei um Seewespen handeln, die ebenfalls als hochgiftig gelten. Die ortlichen Behorden warnen eindringlich davor, schwimmen zu gehen. In den letzten einhundert Jahren starben in Australien siebzig Menschen an den Folgen von Seewespengift, das sind mehr Tote als durch Haiattacken. — Schwere Unglucksfalle auf See mit Todesfolge sind unterdessen aus Westkanada bekannt geworden. Die genaue Ursache fur den Untergang mehrerer Touristenschiffe ist bislang nicht bekannt. Moglicherweise fuhren die Schiffe aufgrund eines Navigationsversagens ineinander.«

Johanson drehte sich um. Die Nachrichtensprecherin legte soeben ein Blatt aus der Hand und sah mit leerem Lacheln auf.

»Und jetzt weitere Nachrichten vom Tage in unserem Uberblick.«

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